Wozu brauchen Läufer eigentlich so haufenweise Endorphine???
Habt ihr darüber schon einmal nachgedacht?
Also mich beschäftigt das schon, und da ich so einen endorphinstrotzenden Mann zuhause habe, und sozusagen Studien direkt am lebenden Objekt durchführen kann, habe ich das mal ein wenig erforscht: ??
- Als erstes wird einem ja immer erzählt, Endorphine machen einfach glücklich, also je mehr man läuft desto glücklicher, je weniger, desto unglücklicher. Ich denke, das ist Quark, nicht mehr als ein guter Werbezug von asics oder new balance, damit die Schuhe möglichst schnell abgelaufen sind.
- Ich dachte mir dann, vielleicht braucht der Läufer (Läuferinnen sind hier natürlich auch gemeint) die Endorphine, um bei jedem Wettkampf seine Bestzeit um noch ein paar zehntel Sekunden zu übertreffen, oder
- noch besser, er braucht sie, um diesen blöden Typen, der doch jedes mal in Sichtweite vor einem über die Ziellinie läuft, endlich zu spatzen
- Könnte sein, aber alles schien mir nicht so richtig treffend, bis mir durch ein eindrückliches Erlebnis, bewusst wurde was es wirklich ist:
Der Läufer braucht die Endorphine, um dem Stress standzuhalten nur ja keinen Lauf zu verpassen. Ist doch klar!!!
Und dieser Druck ist gewaltig.
Er fängt in dem Moment an, wo der Laufkalender vorliegt:
Jochen hat ihn letzte Woche bekommen.
Und so lagen mein Mann und ich am Abend nach Erhalt des Laufkalenders einträchtig im Bett, ich in meinen spannenden Krimi vertieft, und Jochen studierte mit glücklichem aber zugleich auch so leicht angespanntem Gesichtsausdruck den Laufkalender.
Ich weiß gar nicht, was es darin so stundenlang zu lesen gibt, wahrscheinlich stellt er sich jede einzelne Laufstrecke im Geiste vor, er kennt sie schließlich ja alle, oder er überlegt, wer bei welchem Lauf wohl mitläuft, und wie und wann der am besten zu spatzen…na ihr wisst schon. Jedenfalls, als mir irgendwann die Augen zufielen und ich meinen spannenden Krimi zur Seite legte, war Jochen immer noch mit entrücktem Blick in den Laufkalender vertieft. Und schau an, am nächsten morgen, als ich aufstand standen schon alle Lauftermine im frisch aufgehängten Familienkalender2008. Damit sich nur ja keiner einfallen lässt, da irgendetwas anderes hinzuschreiben. Eigentlich gibt's nix aber auch gar nichts, was es rechtfertigt einen Lauf ausfallen zu lassen! Aber was ist das, hat unser Kind doch genau dann Geburtstag, wenn Pohlheim ist! Da ist was schief gegangen, wie konnte uns das denn passieren!!
Ja, das ist Stress, dagegen hilft nur eins ENDORPHINE!!!
Und nun zu dem Erlebnis, das mir die Augen öffnete:
Wir waren letztes Jahr in den Herbstferien mit unserem altersschwachen Wohnmobil auf Sardinien. Wir verbrachten zwei laufstressfreie Wochen,
ab und zu mal gemütlich ein bisschen gemeinsam am Meer entlang traben, denn Jochen hatte noch Hüftprobleme, alles völlig entspannt und wunderbar… bis ja bis wir zur Heimfahrt aufbrachen.
Ich machte mir noch keine Gedanken darüber, dass Jochen, als wir um 5 Uhr abends von der Fähre fuhren, aufs Gas drückte und mit Höchstgeschwindigkeit von 105 kmh Richtung Norden donnerte. Pisa, wo unsere Freunde die Nacht verbringen wollten, hatten wir ja schon auf dem Hinweg abgehakt, also weiter heimwärts.
Ab 22 Uhr machte ich dann mal den Vorschlag, so langsam könnten wir uns ja mal einen Schlafplatz suchen, da kam nur… grummelgrummel, geht doch noch ganz gut!! Naja, Tom ging schlafen, ich verzog mich zum lesen, Jochen fuhr und fuhr. Ein bisschen übertrieben fand ich das schon, aber wenn er unbedingt will. , soll er fahren. (Männer halt)
Dann aber wurde es unserem Womo zu bunt, so lange Vollgas zu fahren und das Getriebe fing an zu spinnen und sehr unangenehme Geräusche zu machen. Sofort tönt mein Mann, mit leicht kratziger Stimme "Wir bleiben sofort stehen und übernachten, das Getriebe braucht Ruhe, morgen geht's wieder", hm ja klar, das Getriebe braucht Ruhe….wer sonst. Da war es bereits längst nach Mitternacht und wir waren in Bellinzona an der Grenze zur Schweiz! Gute Nacht schlaft alle gut.
Etwa 4 Stunden später, ich war im Tiefschlaf, geht der Motor auf einmal wieder an, ich schrecke auf, denke Diebe, Entführung sonst was, nein Jochen sitzt am Lenkrad und …da fällt es mir auf: dieser eigenartigen Blick, wie beim Laufkalenderlesen. Und vorsichtig frage ich was los ist, er meint nur, er hätte nicht mehr schlafen können, der LKW-Lärm hätte ihn so gestört. Jochen ? nicht mehr schlafen können wegen Lärm??? Komisch ….Egal ich schlaf noch ein bisschen. Als ich dann um 8 Uhr sage, wir könnten doch mal stehen bleiben zum Frühstücken kommt's dann endlich etwas umständlich raus: naja, also wenn wir zügig weiterfahren und kein Stau kommt, und das Getriebe nicht spinnt und wir nicht stehen bleiben zum Essen usw, naja, dann könnten wir doch eigentlich um 3 daheim sein und na wenn wir dann schon mal da wären, dann könnte man doch eigentlich auch den Nickelsmarktlauf mit laufen.
Als langjährige Läuferfrau weiß ich, da sagt man einfach besser nichts mehr. Also aßen wir während der Fahrt, blieben zum Fahrerwechsel nicht stehen (das geht schon, wir haben ja Tempomat.) ein Klo haben wir auch dabei und immer weiter und weiter. Dazwischen immer Jochen. Wenn es lief: "das klappt das klappt", und bei jedem etwas dichteren Verkehr, "oh scheiße, wenn das so weitergeht kommen wir zu spät", kaum floß es wieder, "doch, klar das klappt" usw.
Es war schon ein bisschen anstrengend.
Dann kurz hinter Basel der erste richtige Stau, Armer Jochen: Schweißausbrüche, Stimmungsleiter raufundrunter, Als es endlich weiterging da war es 10 Uhr. Jetzt aber Vollgas, und unser armes 20 Jahre altes Womo musste laufen und laufen ohne Endorphine, aber mit Diesel und der ging dummerweise zur Neige.
Jetzt sind wir ja auch ein bisschen sparsam, und so fuhren wir von der Autobahn ab, im nächsten Dorf müsste ja eine Tankstelle kommen. Aber da war keine, und so fuhren wir 20-30 km durch Schwarzwalddörfer, wunderschöne Landschaften, meine Heimat... aber meine Begeisterung kam jetzt nicht so gut an ………
Schließlich waren wir wieder auf der Autobahn, mit vollem Tank und "wir können es immer noch schaffen!!"
Ich will's nicht zu sehr ausdehnen wir kamen mehr oder weniger schnell voran, wenn es stockte wie gehabt, wenn es weiterging ebenso. Jedenfalls waren wir um kurz nach 14 Uhr in Frankfurt. Jochen war nicht mehr zu bremsen, rief über Handy eine erstaunte Rosi an und bat sie, ihm schon mal eine Startnummer zu besorgen, "eigentlich müsste es klappen"
14.15 Uhr Bad Homburg: Stau, zur Stimmung bei Jochen muss ich jetzt nichts mehr sagen, alle Radiosender helfen nichts, hektisches Geblätter in der Straßenkarte, Diskussionen sollen wir abfahren oder nicht, wäre die rechte Spur nicht doch besser, oder vielleicht die mittlere Höchstspannung
Gerade will er zum Handy greifen, um Rosi doch abzusagen, da hat der liebe Läufergott ein Einsehen, es geht weiter. Jochen sofort: "So jetzt schaffen wir es." Es ist 14.25 Uhr
Jochen fährt , ich packe hinten nach Anweisung den Rucksack, lege Treiser- Wettkampfshirt (wieso haben wir das eigentlich dabei????) Socken und Hose alles zum reinspringen bereit, die Schuhe sind aus verständlichen Gründen nicht im Womo, sondern hinter einer Klappe nur von außen zugänglich, Mist, das verzögert
14.40 Gießen Fahrerwechsel, oh das wird knapp.
Jochen zieht sich um, macht sich mental bereit.
14.48 Uhr Abfahrt Staufenberg, sämtliche Stadtteile werden durchpflügt, auf die paar Strafzettel kommt's jetzt auch nicht mehr an.
14.56 Ortsmitte Allendorf "bleib einfach stehen, ist egal wo", Jo springt raus, zerrt die Schuhe aus der Klappe, rennt zum Start, heftet sich die Nummer an, während er gleichzeitig die Schuhe zumacht, und peng,
weg isser.
40 Minuten später nehmen Tom und ich, völlig erledigt, einen frisch mit Endorphinen aufgefüllten völlig entspannten Jochen in Empfang der meint nur lapidar: "naja, hätten wir uns auch sparen können"